Sehr geehrte Landtagsabgeordnete,
Sie werden in den nächsten Wochen über das Gesetz zur Umsetzung der Windpotenzialstudie Niedersachsen abstimmen. Dabei bitten wir Sie Folgendes mit abzuwägen bzw. bei der Abstimmung zu berücksichtigen:
Es gibt sehr viele Bedenken hinsichtlich der Kriterien dieser Studie und der Folgen, sollte diese als Gesetzesinhalt ohne Einschränkung umgesetzt werden. Dabei geht es konkret weniger um die Flächenbelastung, sondern um den Wald, der nicht explizit unter Schutz gestellt ist und damit dem Kriterium 1 – keine Konflikte unterliegt.
Dies entspricht weder der Abschlusserklärung des „Runder Tisch Zukunft Windenergie“ von 2020, noch dem „niedersächsischen Weg“ noch der „Agenda Wald 2050“ der Bundesregierung. Es fehlen zurzeit konkrete und verbindliche Regeln, unter welchen Umständen welche Waldflächen für die Windenergienutzung in Niedersachsen ausgewählt werden können. In der Abschlusserklärung des Runden Tisches wurde beschlossen, dass es solche Kriterien geben soll. Bis jetzt sind diese aber nirgends zu finden.
Es bedarf einer anderen Sorgfalt, wenn Waldflächen der Windkraft zur Verfügung gestellt werden sollen. Hier besteht ein großer Zielkonflikt zwischen der Krise des Artenschutzes, der Biodiversitäts-Krise, des Klimaschutzes durch die besondere Funktion von Waldflächen für das regionale Klima ebenso wie des Wasserschutzes und dem Schutz der Böden. Boden, die zerstört sind, können nie wieder hergestellt werden. Eingriffe in Wälder sollten sorgfältig geplant und mit allen Folgen eingeschätzt werden, ehe unwiederbringlich ökologische Systeme zerstört und irreversible Schaden verursacht werden. Das Landesraumordnungsprogramm sieht mittlerweile weniger konkrete Kriterien bei WEA im Wald vor – es sollten zunächst vorbelastete Flächen verwendet werden. Während im Windenergie-Erlass (1.9.2021) noch Kriterien zu finden sind, fehlt die Einordnung und Definition von „vorbelastet“ im Land Niedersachsen. Hier existiert eine unverantwortliche Lücke! Gesetze und Beschlüsse sollten einen Orientierungsrahmen bieten, der Entscheidungen im Sinne der Allgemeinheit eine Richtung geben. Wald ist kein Acker und muss anders in der Planung betrachtet werden!
Sollten Sie dem Gesetz zur Umsetzung der Windpotenzialflächen uneingeschränkt zustimmen, werden auf regionaler Ebene Fakten geschaffen und es kann jeder Wald, der keinen besonderen Schutzstatus besitzt, beplant werden. Dies bedroht viele Beschlüsse, die in den letzten Jahren zugunsten der Wälder in Niedersachsen getroffen wurden.
Insbesondere der Landkreis Lüneburg wird in der oben genannten Studie mit einem sehr hohen Anteil an möglichen Potenzialflächen belastet. Wir sind Anwohnende eines Waldgebietes im östlichen Teil des Landkreises mit dem Namen „Breetzer Berge/ Bargmoor“. Hier werden ohne Einschränkung über 1000 ha – dies entspricht 10 Millionen qm (!), Wald als Potenzialfläche ausgewiesen und einfache Umweltprüfungen in die Planungsebene bzw. Genehmigungsebene verschoben.
Diese Woche hat das EU Parlament beschlossen, Wälder weltweit besser zu schützen. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) kommentierte daraufhin den neuen Gesetzesbeschluss: “Unsere Aufgabe ist es, die Wälder für die Zukunft unserer Kinder und Enkel zu schützen.” (Tagesschau https://www.tagesschau.de/wirtschaft/eu-importregeln-waldschutz-100.html)
Diese Haltung sollte in unseren Augen genauso für den Umgang mit Wald in unserem eigenen Land gelten und nicht nur den Regenwald im Amazonas betreffen. Hier vor Ort herrscht großes Unverständnis, wie es bei den obengenannten Krisen sein kann, dass eine so große Fläche Wald industrialisiert werden soll, um vordergründig das Klima zu schützen. Ohne konkretere Kriterien oder Regeln sollen aus der Not heraus genügend Flächen im Land Niedersachsen für die benötigte Windkraft bereitgestellt und festgelegt werden. Zurzeit erleben wir hier in der Gegend, dass bereits Projektierer großer Windparks schon Verträge mit Waldbesitzern geschlossen haben, weil das große Geld lockt.
Wir sind dabei nicht gegen Energie aus Windkraft, sondern wünschen sie uns reguliert und in Absprache mit den Menschen vor Ort, die neben dem Naturschutz auch ihre Landschaft verlieren sollen. Es befinden sich bereits sehr viele WEA im Landkreis Lüneburg und auch in unserer Gegend müssen wir mit den Anlagen leben, die teilweise eine sehr große Lärmbelastung darstellen. Wenn wir jetzt auch noch den Wald verlieren sollen, sind die Menschen hier vor Ort nicht gewillt, dies einfach so hinzunehmen!
Wir haben im Gebiet Breetzer Berge/ Bargmoor die höchste Waldbrandstufe seit Jahren, 3 Trinkwasserbrunnen in der entsprechenden Waldfläche und eine besondere Topografie (keine Ebene, sondern viele Anhöhen – bis zu 90m) – alle diese Punkte wurden bei der Auswahl der Potenzialflächen überhaupt nicht berücksichtigt. Ebenso sollte die Größe der zusammenhängenden Fläche Wald bei der Entscheidung eine Rolle spielen und dazu Expertisen eingeholt werden: es macht einen Unterschied, ob ich WEA in einer Fläche von 50 ha oder 1000 ha zulasse und auch die Folgen sind dementsprechend komplexer!
Zusätzlich zu den oben angesprochenen Punkten erschließt sich uns ebenfalls nicht, wie die für unseren Wald vorgesehen bis zu 100 (!) WEA mit der unzureichenden Verkehrsinfrastruktur vor Ort errichtet und dann auch noch an das Stromnetz angeschlossen werden sollen. Dies würde die Region in eine Industrielandschaft verwandeln!
Es beginnt gerade ein großer Konflikt zwischen Land- und Stadtbevölkerung, da viele Menschen bewusst diese strukturschwache und infrastrukturarme Gegend als Lebensmittelpunkt gewählt haben, unter anderem um Artenvielfalt und Naturnähe erleben zu können. Der überwiegende Teil der Waldflächen gehört dazu den Landesforsten und damit der Allgemeinheit. Er sollte also auch im Sinne der Allgemeinheit für die Menschen vor Ort als Naturraum und Erholungsort weiterhin zur Verfügung stehen.
Es haben sich bereits über 1.100 Menschen auf der Webseite der Bürgerinitiative „Breetzer Berge“ namentlich eingetragen, weil sie gegen eine invasive Nutzung des Breetzer Waldes für Windkraftanlagen sind: https://breetze.info/unterstuetzer/ – hier organisieren wir gerade gemeinsam mit den Bürger*innen der umliegenden Ortschaften eine Bürgerinitiative zum Erhalt des Waldes.
Der Nabu und andere Naturschutzorganisationen haben auch eine Haltung zu Windenergie im Wald: https://niedersachsen.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/energie/31069.html, ebenso die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald: https://www.sdw.de/ueber-die-sdw/positionen-und-stellungnahmen/windenergie-im-wald/
Wir benötigen dringend Kriterien, welche Waldflächen mit WEA überplant werden dürfen und welche nicht, um eindeutige und einheitliche Regelungen im Land zu haben, an denen sich die Regionalplanungen ausrichten können. Vorher sollten Waldflächen nicht einbezogen werden.
Mit freundlichen Grüßen,
Claudia Kühn