LZ Artikel vom 14.02.2024
Vor der Sitzung von vier städtischen Ausschüssen im Kulturforum protestieren Mitglieder des BUND, des VCD und von Parents4Fu- ture gegen Planungen Lüneburgs, in einem Wald bei Deutsch Evern Windkraftanlagen zu errichten.
Foto: jz

Klimaschutz mit Kettensäge
VON JOACHIM ZIESSLER
Die Stadt möchte einen Windpark im Wald bei Deutsch Evern errichten. Dafür aber müssen erst Bäume fallen
Lüneburg/Deutsch Evern. Den Weg zur Klimaneutralität will Lüneburg mit der Kettensäge freischlagen. Die Stadt plant, in einem 196 Hektar großen Wald südlich von Deutsch Evern die Errichtung von bis zu zehn Windkraftanlagen. Dafür müssten geschätzt zehn Hektar Wald gerodet werden. Darunter wohl auch Laub- und Mischwald, der von der Bevölkerung gepflanzt wurde. Vier Ausschüsse des Rates berieten gemeinsam über das Vorhaben. Die Oberbürgermeisterin sah einen „klassischen Zielkonflikt“. Es gab Protest, die, die ihren Unmut äußerten, zeigten sich „entsetzt“. Die Verwaltung hätte gerne einen positiven Beschluss gehabt. Ratsfrauen und
-herren sahen aber noch Beratungsbedarf.
Dabei greifen die Lüneburger Ratsmitglieder sogar ihren Kolleginnen und Kollegen im Kreistag vor. Denn der Landkreis überarbeitet gerade das Regionale Raumordnungsprogramm, weist dabei die Flächen aus, die für Windenergieanlagen geeignet sind. Vier Prozent seiner Fläche soll der Landkreis für Rotoren reservieren, hat das Land entschieden. 2025 soll die Karte vorliegen. Darauf werden auf jeden Fall die 196,37 Hektar Wald zwischen der Südgrenze Deutsch Everns und dem Dieksbach verzeichnet werden. Zwei Drittel der Fläche gehören der Hansestadt beziehungsweise der Stiftung Hospital zum Großen Heiligen Geist, die vom Rathaus treuhänderisch verwaltet wird.
Zwei Millionen Euro für Entwicklungskosten
Für den Frühstart in Sachen Windkraft sorgen die ein Drittel des Waldes, die in privater Hand sind. Zwei der Besitzer haben sich inzwischen mit dem Bauernverband Nordostniedersachsen (BVNON) geeinigt, dass dieser vor Ort das Projekt Windpark Deutsch Evern anschiebt. Diesen Rückenwind will das Lüneburger Rathaus nutzen und ebenfalls seine Rotorblätter mit dem Bauernverband in den Wind stellen. Der Vorteil: Der Windpark könnte erheblich schneller realisiert werden. Drei bis fünf Jahre muss man dafür veranschlagen, sagte Wolf Winkelmann vom BVNON vor den Ausschussmitgliedern. Aber wer startet, bevor der Landkreis seine Karte mit den Vorrangflächen erstellt hat, muss nicht mit anderen Gemeinden um Gutachter konkurrieren.
Auf zwei Millionen Euro veranschlagt der Bauernverband die Entwicklungskosten des Windparks Deutsch Evern. Die Nutzung der maximal zehn Rotoren ist auf 26 Jahre veranschlagt, wobei der BVNON einen Nachschlag von vier Jahren nehmen kann. Die Pacht für die Grundstücksbesitzer wird mit mindestens 62.000 Euro je Windkraftanlage veranschlagt, der jährliche Überschuss des gesamten Windparks auf rund 400.000 Euro. Der klammen Stadt Lüneburg winken nicht nur Pachteinnahmen, sondern auch Nutzungsentgelt für den erzeugten Strom. Bei einer Nabenhöhe von 165 Metern und einem Rotorradius von 80 Metern schätzt Wolf Winkelmann, dass jede Anlage etwa 18 Millionen Kilowattstunden jährlich erzeugt. Zehn Anlagen würden dann etwa ein Siebtel des Gesamtverbrauchs des Landkreises produzieren.
„Eine große Chance, einen wichtigen regionalen Beitrag zur Energiewende zu leisten“, nennt Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch das Projekt: „Wollen wir bis 2030 klimaneutral werden, brauchen wir solche Projekte.“ Astrid Völzke vom Verkehrsclub Deutschland, eine Mitinitiatorin des Klimaentscheids, sagte dagegen: „Ich bin zutiefst entsetzt, dass mit Klimaschutz die Abholzung von Wald begründet wird.“ Franziska Hapke erinnerte daran, dass Waldboden wegen seiner Fähigkeit, Kohlendioxid zu speichern, gerade zum Boden des Jahres erklärt wurde. „Eure Enkel werden Euch verklagen“, lautete eine der Parolen derer, die vor dem Kulturforum demonstrierteb, wo die Ausschüsse tagten.
Brandbekämpfung wird erschwert
Jochen Neuberg von der Lüneburger Regenerativen Genossenschaft „Moktwi“ fragte, warum die Verwaltung keine Vergleichsangebote eingeholt habe. Einen Punkt, den Andrea Schröder-Ehlers (SPD) später aufgriff. Erster Stadtrat Markus Moßmann sagte, dass der Vertrag der beiden privaten Waldbesitzer mit dem Bauernverband „Pflöcke eingeschlagen habe“, dass aber auch kein anderer Projektentwickler, mit dem die Verwaltung gesprochen habe, neben der Pacht eine Aufnahme der Stadt als Mitbetreiberin sowie eine mögliche Bürgerbeteiligung angeboten habe. Gegenüber der LZ sagte Neuberg später, der Verwaltung ein Angebot machen zu wollen.
Stadtbaurätin Heike Gundermann verwies darauf, dass die Bahnlinie Lüneburg-Uelzen, die den Wald zerschneidet, die Zahl der Rotoren begrenzen könnte – je nachdem, ob man 100 Meter Abstand zu den Gleisen lässt, wie der Landkreis vorsieht, oder 260 Meter, wie es der Bund empfiehlt. Nachteile der in Niedersachsen erst seit Kurzem erlaubten Errichtung von Windkraftanlagen in Wäldern seien zum einen die erschwerte Brandbekämpfung: „Bundesweit kommt es jährlich zu etwa zehn Bränden.“ Hier beruhigte Winkelmann: In den Anlagen könnten automatische Löschvorrichtungen verbaut werden. Zudem habe „die Stadt keine Ausgleichsflächen für den zu rodenden Wald“, gab Gundermann zu bedenken. „Die müssen wir im Landkreis finden.“
Der betroffene Wald sei „nicht alt“, sagte Stadtförster Per-Ole Wittenburg. „Die dortige Heide wurde vor 150 bis 160 Jahren aufgeforstet.“ Allerdings werde der Nadelwald seit etwa 50 Jahren in Laub- und Mischwald umgewandelt, „auch mit Bürgerbeteiligung bei Pflanzfesten“.
„Ist der zusammen mit der LZ gepflanzte Trinkwasserwald betroffen?“, wollte Eckhard Pols (CDU) wissen. Ein Blick ins LZ-Archiv zeigt: Nein, die Anpflanzungen wurden weiter östlich vorgenommen.
Marianne Esders (Linke) signalisierte grundsätzliche Zustimmung zum Ausbau der Windkraft, wollte aber sicher sein, ob der Weg wirklich ökologisch positiv sei.
SPD und CDU haben noch Beratungsbedarf
Dirk Neumann (AfD) wollte wissen, ob es nicht auf Äckern oder Deponien Standorte für die Windenergieanlagen gäbe. Winkelmann antwortete: „Nur, wenn sie näher an Wohnsiedlungen herangehen, als bisher erlaubt.“
Cornelius Grimm (FDP) begrüßte das Projekt: „Es bietet die Gelegenheit, nicht nur die Energieversorgung der Region zu stärken, sondern auch die sozialen Projekte für Menschen zu unterstützen, die durch die zu erwartenden Einnahmen der Stiftung Hospital zum Großen Heiligen Geist ermöglicht werden.“
Ulrich Blanck signalisierte für die Grünen Zustimmung. Sein Fraktionskollege Martin Lühmann kitzelte durch Nachfragen noch die Zusatzinformation heraus, dass der Windpark noch ein eigenes Umspannwerk bräuchte. Winkelmann: „Das ist zu viel Strom, um ihn ins Ortsnetz einzuspeisen.“
Hiltrud Lotze (SPD) und Eckhard Pols (CDU) äußerten sich zwar positiv, wollten das Projekt aber zunächst in ihren Fraktionen besprechen. So wurde es nichts mit dem von der Verwaltung erhofften grünen Licht für den Windpark.